Der Besuch - oder: Das Schlangenei



Es war Ende der 70er Jahre, da kam der Film "Das Schlangenei" in die Kinos. Regie und Drehbuch: Ingmar Bergman. Der Film spielt um 1925, wo es  einerseits heiteres Leben, viel Tanz und Musik gab, aber auf der anderes Seite viel Elend, galoppierende Inflation, Gewalt und Verelendung. Es erstarkten neue Kräfte, die das bekannte große Unheil brachten. Bis zum Schluss habe ich mich gefragt, warum der Film diesen Titel trägt. Fast am Ende kommt die Lösung. Eine der Hauptpersonen sagt zur damaligen Lage: "Es ist wie bei einem Schlangenei: durch die dünne Membran erblickt man bereits das voll ausgebildete Reptil." Du siehst das Ei - und du siehst gleichzeitig die Zukunft. So wird es werden: es wird eine Schlange schlüpfen. Noch sieht sie klein und harmlos aus. Aber sie ist es nicht. Das weißt du genau. Über 40 Jahre ist es her, dass ich diesen Film gesehen habe, aber das Bild vom Schlangenei habe ich nie vergessen.

In der vergangenen Woche erhielt ich eine Einladung von der Jüdischen Gemeinde Flensburg zum Morgengottesdienst in ihren Räumen mit anschließendem gemeinsamem Essen. Die ganze Veranstaltung über war Polizei vor Ort und passte auf, dass die Gemeinde vor Attacken und Gewalt geschützt wurde.

Um gut zurecht zu kommen, bekam ich eine "Patin" zur Seite gestellt, die mir alles erklärte. Wir kamen beim Essen intensiv ins Gespräch. Erschüttert hat mich ihr Satz, dass kein Tag vergeht, wo sie und ihre Familie nicht über Auswanderung nachdenken. Ich habe Angst, sagte sie. Angst, dass wir hier nicht mehr leben können. Angst, dass unsere Kinder keine Zukunft in diesem Land haben. Auch in dieser Stadt könne ein Jude keine Kippa tragen. Ihr Mann wäre angespuckt worden. Ihre Kinder dürften an der Uni nicht laut sagen, dass sie Juden sind. Von allen Seiten käme der Antisemitismus auf sie zu. Von Links und von Rechts. 

Am vergangenen Sonntag war ich demonstrieren. Zum ersten Mal wieder seit vielen Jahrzehnten. Denn ich möchte aufstehen gegen Menschenverachtung und Hass. Ich möchte für Demokratie auf die Straße gehen. Und gegen Antisemitismus. Wie kann es angehen, dass es schon wieder so weit gekommen ist? Dass Menschen Angst haben, nur weil sie einen anderen Glauben leben? Dass sie hier nicht mehr in Frieden leben können? Vor einigen Jahren hat ein ehemaliger Bundespräsident gesagt: der Islam gehört zur Deutschland. Das Judentum gehört auch zu Deutschland und schon sehr viel länger. Ich möchte dafür demonstrieren, dass Menschen versöhnt und in Frieden miteinander leben können. Und dass jüdische Familien nicht auswandern müssen, weil der Wind ihnen derartig heftig ins Gesicht bläst.

Gott sagt: Wer euch antastet, der tastet meinen Augapfel an. -Sacharja 2, 12b

Christian Streich, der Trainer des SC Freiburg, hat öffentlich gesagt: Wer jetzt nicht aufsteht, der hat nichts verstanden. 
https://youtu.be/5-Rl8B2jtiE?feature=shared

Aus einem Lied:

Ob als Penner oder Sänger,
Bänker oder Müßiggänger,
Ob als Priester oder Lehrer,
Hausfrau oder Straßenkehrer,
Ob du sechs bist oder 100,
Sei nicht zur erschreckt, verwundert.
Tobe, zürne, misch dich ein!
Sage nein! Sage nein!
Sage nein! Sage nein!

Kommt, wir passen zusammen auf, damit nicht wieder Schlangen schlüpfen. Das können wir nicht zulassen.  

Foto: Pexels


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