November: Vom Blühen, von der Winterruhe, vom Wegwerfen und Behalten

 


"Meine habe ich schon weggeschmissen", sagt sie zu mir. "Sie hat lange geblüht, aber jetzt kommt nichts mehr nach." Wir reden über unsere Margeriten. Im Frühjahr habe ich eine geschenkt bekommen. Wir haben sie vor die Tür gestellt in einen großen Übertopf. Das sah richtig gut aus: Der dunkelblauer Topf - und da drin die Pflanze mit ihrem weißen Blütenmeer. Ich hatte den Tipp bekommen, die verwelkten Blüten rauszuschneiden, dann hätte die Blume die Chance, neue Blüten hervorzubringen. Und das tat sie auch. Wer zu uns kam, wurde von der üppig blühenden Blume freundlich begrüßt. Aber nun ist die Margarite am Ende ihrer Kraft, es kommen keine Blüten mehr nach. Außerdem meldet der Wetterbericht dauerhaft sinkende Temperaturen. Es geht Richtung Bodenfrost. 

Was kann ich jetzt mit dieser Pflanze anstellen? "Best is droff", sagt man auf Platt. Auf den Kompost werfen? Sie hat das Ihre getan, nun ist Schluss? Wir trennen uns?
Ab Ende August, so schreiben es Gartenforen im Internet, ist die Margerite müde. Da hilft weder Düngen noch mehr Gießen. Sie bereitet sich auf die Winterruhe vor. Die gute Nachricht also: man kann sie überwintern. Das kostet aber Energie. Die Pflanze muss zurückgeschnitten werden und kann auch nur bedingt Kälte ab. Zehn Grad wären ideal, lerne ich. Und Licht wäre wichtig, darum ist Überwintern im Keller nichts für sie. Außerdem kann sie allen möglichen Befall bekommen: Blattfäule, Läuse... Tja, was tun? So eine Margerite kriege ich nächstes Frühjahr für kleines Geld in den Blumenläden. Sogar Aldi hat welche verkauft. Aber irgendwie komme ich mir undankbar vor der Blume gegenüber. Nennt mich ruhig kindisch - ist halt so. 

Ich begucke meine Blume - ich begucke mich und andere Menschen und lerne:  Blühen geht nur in einem bestimmten Zeitraum und kann kein Dauerzustand sein. Es braucht die anderen Zeiten, das ist normal.

Jetzt ist November. Da blüht nichts mehr.  November mit Volkstrauertag und Totensonntag. Erich Kästner hat über diesen Monat geschrieben: "Nun sind die Tage grau wie nie zuvor. Und der November trägt den Trauerflor." 

Das frisst an der Seele.  Es gibt Phasen, wo nicht viel los ist mit mir. Da bin ich nicht gut drauf, mein Optimismus ist weg. Es ballen sich dunkle Wolken über meinem Kopf zusammen. Da fließen Kraft und Lebensmut so schnell weg, als hätte die Seele ein Leck. Keine Blüte in Sicht. Dann weiß ich selber nicht, wohin mit mir. Ich schlafe schlecht und wache lange. 

Das kennt der Dichter Rilke ja auch: "Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr. Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben, wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben und wird in den Alleen hin und her unruhig wandern, wenn die Blätter treiben." (aus dem Gedicht "Herbsttag")

Was ist los mit mir - und vermutlich auch mit dir? Novemberblues? Ganz normale Zeit, die auch sein muss und dazu gehört. Ich blühe gerade nicht. Aber das kommt wieder. Nur im Moment nicht. 

Alles hat seine Zeit, heißt es in der Bibel: pflanzen hat seine Zeit, ausreißen, was gepflanzt ist, hat seine Zeit; ...weinen hat seine Zeit, lachen hat seine Zeit; klagen hat seine Zeit, tanzen hat seine Zeit; ....Gott hat alles schön gemacht zu seiner Zeit, auch hat er die Ewigkeit in ihr Herz gelegt; nur dass der Mensch nicht ergründen kann das Werk, das Gott tut, weder Anfang noch Ende. (aus Prediger 3)

Es ist November. Total normal.
Unter dem Link 
https://youtu.be/qjytsRwG80s?feature=shared
findest du das Gedicht November von Erich Kästner, gelesen von Heinz Rühmann. Und wenn du das gehört hast, mach dir einen Tee oder Kaffee, lege beide Hände um die Tasse, die dich wärmt und freue dich - trotzdem.

Liebe Grüße!


Kommentare

  1. Liebe Heike, ich bin gespannt ob du deine Marguerite durch den Winter bringst. Viel Glück dabei. Hab trotz des trüben Wetters eine gute Zeit. Und dann blüht die Christrose und führt uns durch den Advent. Liebe Grüße aus Nordhorn.

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  2. So wahr, liebe Heike. Gerade schaufelt sich die Sonne ein Loch in die Wolken. Ich nutze die Chance und setz‘ mich aufs Rad und fahre los….

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  3. Der stille, mitunter unheimliche November lässt Energie an anderer Stelle wachsen, unbemerkt. Aufladen, sinnieren, philosophieren und das Wenige genießen, was er bietet. Kleine tanzende Lichter, Düfte, ein leichtes Buch und sanfte Musik. Einfach anlächeln. Ein naher Blogpost

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