Von Friseuren, von der Kopfhaut und vor allem: Von der Armut




Es tut mir leid“, sagte mir ein Friseur. "Wir können Sie nicht behandeln. Ihre Kopfhaut ist zu sehr angegriffen. Das muss erst in Ordnung gebracht werden. Wenn das alles geheilt ist, kommen Sie bitte gerne wieder.“

In Pewsum war das kein Problem: ich ging zu Ulrike in der Mittagszeit, und Ulrike mit dem großen Herzen kümmerte sich liebevoll um mich und schnitt - ohne zu waschen - einfach meine Haare trocken. Und tröstete mich mit den Worten: Das geht von selbst wieder weg, komm man erst zur Ruhe in dem neuen Ort.

Die angegriffene Kopfhaut war der letzte Rest meines Zusammenbruchs vom vergangenen September. Schuppen, Schorf, Juckreiz, kaputte Kopfhaut – alles, was eine Neurodermitis ausmacht, hatte ich. Und nun am neuen Ort: die Haare waren viel zu lang geworden, ich fühlte mich nicht mehr wohl. Es musste was geschehen. - Also probierte ich einen anderen Friseur aus. „Würden Sie meine Haare vielleicht auch trocken schneiden?“ begann ich schüchtern und wollte gerade mein Problem erklären, da wurde ich von einer jungen, stark geschminkten und chic gestylten Dame von oben bis unten gemustert. Sie unterbrach mich und sagte spitz „Das wird sich aber nicht auf den Preis auswirken!“ - Und ich dachte: Aha. So fühlt es sich also an. So wird man also behandelt, wenn man als quasi Sozialfall eingestuft wird. Sie hörte mir gar nicht zu, ich hatte doch gerade erst angefangen, meine Frage zu erklären. --- Ich brauchte auch nichts weiter zu erklären, denn mir war sofort klar: Das wird nicht mein Laden, dieser Friseursalon sieht mich nie wieder.

So fühlt sich das also an. Wenn man eingestuft wird als besitzlos, als arm. Zig Gespräche hatte ich darüber geführt, dass Armut ein Makel ist. Niemand will als arm bezeichnet werden.

Als wir die Arche in Visquard gründeten, erschien ein Zeitungsartikel, in dem stand, dass die Arche einen Zuschuss aus dem Armutsfond erhalten habe. - Zack, blieben die Kinder weg. „Da gehen wir nicht hin. Das ist nur für arme Kinder“, hieß es, und fast wäre die Arche am Anfang daran zerbrochen.

Armut gilt als schlimmer Makel. Arm heißt für viele: du hast es nicht geschafft. Du hast dein Leben nicht hinbekommen. Dir schlägt eine fiese Arroganz von Besitzenden ins Gesicht.

So fühlt es sich also an. Und darum verhalten sich viele – gerade Ältere – so still. Nie habe ich Euch klagen hören: Ihr, die Ihr so fürchterlich niedrige Renten habt. Ihr habt Euer Leben gemeistert. Ihr habt unfassbar sparsam gelebt und oft noch was zur Seite gelegt. Nie habt ihr darüber ein Sterbenswörtchen verloren.

Ich erinnere mich an die Sätze von Jonny, der eine Säule der Diaconie der Fremdelingen Armen war: „Heike, du glaubst nicht, wie viel versteckte Armut es gibt. Wie viele Menschen sich schämen, weil sie kein Geld haben. Niemals würden sie zum Sozialamt gehen. Lieber sitzen sie in einer kalten Wohnung bei Kerzenlicht, als zu sagen, dass sie zu wenig Geld für Strom und Gas haben.“

So fühlt sich das also an...

Was kommt da für eine Welle auf uns zu? Alles wird teurer. Die Lebensmittelpreise werden noch mal steigen, Energiekosten gehen durch die Decke. Und jetzt? Wie soll das denn gehen bei denen, die man gerade so über die Runden kamen?

Mit Hochmut ist nicht viel getan“ heißt es in einem Gedicht von Hanns Dieter Hüsch.

Wir sind gefragt – alle miteinander. Sozialer Kitt muss her, dass wir uns umeinander kümmern. Ohne jede Spur von Arroganz. Einfach, weil wir Geschwister sind und zusammenhalten müssen. Kirchengemeinden sind gefragt, jetzt zu handeln. Dazu gehört für mich warme Räume vorzuhalten, sie zu öffnen für alle. Tee und Kaffee anzubieten, warme Mahlzeiten, Kuchen… Dafür ist Kirche doch da: da „sitzen solche, die am meisten frieren, am dichtesten am Feuer.“ Zitat von Jan Hendriks aus einem Buch „Gemeinde als Herberge“, S. 56

Dient einander, sagt die Bibel im 1. Petrusbrief – (4,19). Ohne Gefälle, ohne Arroganz, alle gleich und auf Augenhöhe. Kümmert euch um einander, achtet darauf, wo die anderen stehen und wie es ihnen geht.
Nächstenliebe – deine Sache. Und meine.
Liebe Grüße von Heike Schmid

P.S.
Wie ging es mit dem Friseur weiter? Ich kam eines Tage zu-fällig (eigentlich hatte ich was ganz anderes vor) bei einem montags offenen Friseursalon in meiner Nähe vorbei. Ich ging rein. Da war Margarita. Ich schilderte ihr mein Kopfhaut-Problem, sie sagte: ist nicht schlimm, machen wir ganz vorsichtig. - Sie wusch meine Haare mit mildem Shampoo, schnitt und pustete mit dem Föhn auf niedrigster Temperatur einfach trocken. Wunderbar. Da werde ich Stammkundin.


Kommentare

  1. Kann ich nachvollziehen. Auch ich würde da Stammkundin. Gut dass es noch solche Menschen gibt.Wie war das noch gleich: Immer wenn du denkst.... Liebe Grüsse aus der alten Heimat.

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  2. Sie haben so recht liebe Frau Schmidt, Danke für Ihre Gedanken und danke für Ihr Wirken. Liebe Grüße, Elfriede Ritzenthaler

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  3. Ja, so ist das mit uns Menschen , gleich in Schubladen stecken und Vorurteile haben ohne zu wissen was er für einen Weg hinter sich hat! Danke für diese Andacht zum Nachdenken und wachrütteln! Alles Gute ich vermisse die schönen Andachten! Bin sehr froh das ich noch viele gespeichert habe!

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